Fehl am Platz
Ich weiß nicht, was ich mir gedacht habe, als ich damals einfach die Gelegenheit ergriff und Joreth folgte.
Gut, es war eine Gelegenheit, meine Mutter wieder zu sehen, und der Necromancer hatte ihr Bild in seinem Herzen vergoldet.
Aber ich glaube, es lag vor Allem daran, dass ich zu Hause meine Daseinsberechtigung verloren hatte...
Yrcha hat immer versucht, mir einzureden, sie brauche mich, aber ich weiß nur zu gut, dass die Kinder ohne mich genauso gut funktionieren.
Sicher, es ist immer angenehm, eine Gedankentechnikerin greifbar zu haben, aber ich
durfte diese Fähigkeiten ja nicht mehr anwenden.
Meine Gerichtszulassung hatte ich für immer verloren, mit viel Glück würde ich irgendwann wieder als Heilerin arbeiten können, aber im Moment war ich nicht einmal fähig, meinem Volk das zu geben, was normalerweise die primäre Aufgabe ausgebrannter Erinnerungen ist.
Nachkommen mit dem genetischen Material, das mir die Fähigkeiten geschenkt hatte.
Ich war ein Kind, und ich würde es wohl mein Leben lang bleiben, wie so viele Arylens vor mir.
Manchmal hasste ich meinen Urgroßvater alleine dafür, dass er mir diesen Fluch vererbt hatte.
Von allen Gründen, die je ein lebendiges Wesen hatte, diesen Mann zu hassen, war dies wohl der lächerlichste.
Ich hatte gedacht, wenn ich meine Mutter sähe, wenn ich
ihre Vergänglichkeit erleben, sie altern fühlen würde, dann würde das vielleicht helfen, aber auf das Chaos, was mir in dieser Welt der Menschen entgegenschlug, war ich nicht im Geringsten vorbereitet.
Anfangs wagte ich es nicht einmal, irgendeinen der Anwesenden zu berühren, ihre wirren Gefühle und Gedanken schrien mir schon auf Abstand in den müden Kopf.
Mit der Zeit wurde es besser, ruhiger.
Aber je besser ich meine Abschirmung wieder im Griff hatte, desto besser konnte ich auch das Stimmengewirr in meinem Kopf sortieren und unterscheiden, und das machte die Gesamtsituation nicht viel angenehmer.
Meine Mutter war hin- und hergerissen zwischen den zwei Kulturen – der dieser Welt und der meinen – wie auch zwischen den beiden Männern, die ihr doch
beide ihr Herz geschenkt hatten.
In meiner Welt wäre dies kein Problem, aber in dieser war es nicht üblich, zu teilen.
Auch wenn Joreth dazu bereit gewesen wäre, das konnte ich sehen.
Ich mochte den hochgewachsenen Necromancer, der in gewisser Weise meinem eigenen Vater so ähnlich war, und wahrscheinlich dachte er, wenn er mich sah, an jenes weißhaarige Mädchen, seine eigene Tochter, die er nur ein einziges Mal gesehen hatte, um sie dann zu beerdigen.
Nun ließ er einem einsamen kleinen Mädchen mit dem gleichen Namen die Zuwendung zukommen, die für seine eigene Tochter bestimmt gewesen war.
Tscha war – schwierig.
Etwas in ihm hielt die Distanz, vielleicht war die Tatsache schuld, dass ich der lebende Beweis dafür war, dass meine Mutter schon Männer im Arm gehalten hatte, bevor er sie überhaupt kannte.
Asanriel – der Gestaltwandler war ebenso faszinierend wie beunruhigend.
Ich konnte keine klaren Gedanken von ihm empfangen.
Gut, das lag wahrscheinlich daran, dass er selten nüchtern genug war, seine Gedanken für sich selber klar zu halten, aber eines war sicher, er verbarg irgendetwas.
Und er war auf der Flucht, wenn auch nicht unbedingt vor Menschen, dann von einer Situation.
Er suchte in gewisser Weise das Vergessen, genau wie ich.
Shar'Tel sonderte sich meist ein Wenig von den anderen ab.
Sie schien mit deren Art nicht so viel anfangen zu können, vielleicht hatte sie aber auch nur Angst, verletzt zu werden, wenn sie irgendjemandem zu viel von sich preisgab.
Aber all diese Personen waren nicht das Problem.
Es war Morwen, die manchmal mit unendlicher Freundlichkeit und Geduld mir die Fähigkeiten ihrer Vorfahren erklärte und beibrachte – und hinter deren undurchdringlichen Augen immer jener Schatten lauerte, der mir Angst machte.
Und es war Amaion, in seiner grenzenlosen Einsamkeit.
Ich wünschte mir, dass ich etwas für ihn tun könnte, aber ich wusste, auch wenn ich es mir wünschte, ihm zu geben, was ihm fehlte, so war mir doch nur die Hälfte davon möglich.
Ich konnte ihm meine Seele, mein Herz öffnen, aber mein Körper war immer noch der eines Kindes.
Und er war ein erwachsener Mann, er brauchte auch den körperlichen Teil...
Seitdem Morwen zusammengebrochen war, als sie den Tod jener Frau spürte, waren fast zwei Wochen vergangen.
Wir hatten neuen Besuch erhalten, der allerdings seine Anwesenheit geheim hielt.
Der Schatten an der Wand hatte mich gebeten, Amaion und Morwen nichts von seiner Anwesenheit zu sagen, er wolle die Beiden erst ein Weilchen beobachten, meinte er.
Ich mochte den unscheinbaren Mann.
Wie ich hatte er keinen Platz in dieser Welt, und doch hatte er mir eines voraus:
Eine Aufgabe.
Ab und zu, wenn er sicher war, dass keiner der Anderen ihn bemerken würde, schenkte er mir ein Lächeln.
Amaion und Morwen arbeiteten zu viel – und bekamen zu wenig Schlaf.
Vor Allem keinen Erholsamen.
Jeden Tag tauchten sie später am Frühstückstisch auf.
So auch an diesem Morgen.
Ich saß in einer Ecke, als meine Mutter hereinkam.
Joreth folgte ihr, eine Spur zu dicht, wie immer, wenn er sich unbeobachtet wähnte.
Sie lachte und drehte sich um, der Necromancer streckte seine Arme aus und zog sie an sich.
Sein Gesicht war allerdings ernst.
__„Wann willst Du es ihm sagen?“
Sie war für einen langen Moment still, meine kleine, quirlige Mutter, die sonst selten ihren Mund halten konnte.
__„Joreth, er .. würde es nicht verstehen.“
Der Mann schüttelte den Kopf.
__„Das meine ich nicht, das kannst Du verbergen.“
Seine Finger berührten ihre Brüste, und sie zuckte zusammen.
__„Empfindlich. Vergrößert. Du wirst mir nicht sagen, dass Du nicht gemerkt hast, dass Du schwanger bist.“
Meine Mutter löste sich von ihm.
Sie nahm sich einen Stuhl und setzte sich.
__„Ich wollte bleiben, so lange es geht, und dann... Joreth, ich kann es ihm nicht sagen, was, wenn das Kind die falsche Haarfarbe hat? Ich weiß nicht, wer von euch der Vater ist!“
Das war genug für mich.
Ich hätte es ihr sagen können, aber ich war mir sicher, dass die Antwort ihr nicht gefallen würde.
Deshalb floh ich.
Ich suchte mir eine Tür.
Die nächste, an der ich unbeobachtet war.
Ein teil von mir wollte fort von hier, aber ein Größerer wollte bleiben, und so beschloss ein Stück merkwürdiger Logik in mir, den Ort zu suchen, der Heilung versprach.
Aber die Türen narrten mich, wie alles andere.
Ich weiß nicht, wie oft ich diese Tür öffnete und durch Tränen eine andere Welt zu sehen – aber nicht die, nach der ich suchte.
Irgendwann sahen mir die Augen einer uralten Frau entgegen, und ich wusste, dass ich mein Ziel erreicht hatte.
Aber sie hätte doch jung sein müssen?
__„Lilith?“
Das Lächeln der Frau faltete ihr Gesicht in feine Runzeln, die das Gesicht wie ein Spinnennetz überzogen.
Wir bekommen doch keine Falten, keiner von uns altert sichtbar...
__„Ich bin ihre Tochter. Lilith ist schon lange tot. Und, was sucht Binks Enkelin in der Welt der verbannten?“
Ich senkte meinen Kopf.
__„Heilung. Man sagt, dass ihr die ewigen Kinder reifen lassen könnt.“
Die Frau packte mich an den Schultern, drehte und besah mich.
__„Lilith war der lebende Beweis dafür, ja. Aber bei Dir ist die Zeit nicht eingefroren. Ich könnte einen meiner Söhne rufen, auf dass er Deinen Körper dazu zwingt, diese Form aufzugeben, aber es wäre falsch. Du willst doch selber lieber, dass es der Mann ist, dem Deine Seele antwortet, der Dich berührt...“
Damit schob sie mich zurück zur Tür.
Ich saß einfach nur auf dem Flur, das Gesicht in den Händen vergraben, als sich eine Hand auf meine Schulter legte.
__„Mara?“
Amaion setzte sich neben mich und legte mir den Arm um die Schulter
Meine Tränen durchweichten sein Hemd, und der Mann, den ich hatte trösten wollen, versuchte nun, mir ein wenig Trost zu spenden.
__„Sie hat mich abgewiesen, ich wollte endlich erwachsen sein... Amaion, Du bist so alleine, aber ich bin einfach nicht genug...“
Die Schultern des Mannes zuckten von unterdrückten Lachen.
__„Mara, Du bist ein Kind, Deine eigene Mutter hat jahrelang mein Bett geteilt.“
Ich seufzte, bevor ich ihm die grausame Wahrheit offenbarte:
__„Ich bin chronologisch gesehen älter als sie. In meiner Welt ist mehr Zeit vergangen, als ich ihr gegenüber zugegeben habe.“
Amaion lehnte sich weg von mir um mich genauer zu mustern.
__„Du siehst aus wie ein Kind von zehn, höchstens zwölf Jahren.“
Ich nickte.
__„Das ist mein Erbe väterlicherseits – und mein Fluch. Unter den Arylens erreicht einer von dreien die körperliche Reife nie.“
Ich verschwieg, dass jene ewigen Kinder meist ein farbloses, geschlechtsloses Aussehen hatten, zu dem meine Haare, grün wie Krähenflügel und die fast kupferbraune Haut nicht wirklich passten.
__„Es gibt Wesen, die es auslösen können, dass sich der Körper verändert, aber sie haben mich fortgeschickt. Ich wollte ...“
Ich konnte seinen Blick auf mir fühlen, und als ich aufsah, hielten mich die Augen des Mannes gefesselt.
__„Ich weiß es zu schätzen, dass Du mir dieses Geschenk machen wolltest, aber es wäre nicht richtig. Nicht für Dich und nicht für mich...“
Ja, Amaion wusste, dass ich nur auf seine Not reagierte, und er wusste auch, dass in seinem Herz kein Platz für mich war.
Trotzdem nahm er mein Gesicht in die Hände und küsste mich, dieses eine Mal.
Er küsste mich nicht als das Kind, das vor ihm saß, sondern als wäre ich die Frau, die ich hätte sein können.
Keiner von uns hatte bemerkt, dass Morwen aus der Tür getreten war.
Sie starrte uns an – aber das merkte ich erst, als ihr Hass mich traf.
Die schwarze Welle schwappte auf mich zu, als wollte sie mich erschlagen oder ersticken – und dann übernahm mein Training als Gedankentechnikerin.
Von Natur aus schlecht geschützt, ist das erste was wir lernen, einen Schutzschild gegen Angriffe aufzubauen...
Wir sprangen beide auf, als wir hörten, wie ihr ausgemergelter Körper auf dem Boden aufschlug.
Ich war verwirrt, von dem, dass mein Körper doch ein Wenig auf Amaions Berührung geantwortet hatte, wie auch von Morwens Reaktion.
Dieser Angriff hätte mich töten können...
Ein weiterer würde mich töten, ich konnte nur zu gut das verräterische Zittern fühlen, alle Energie war mal wieder aufgebraucht.
Sofern ich sie nicht getötet hatte.
Ich kniete neben der jungen Frau nieder und untersuchte ihren Körper.
Sie war bewusstlos, doch unversehrt.
Menschen haben eine erstaunliche Resistenz gegen Hass, vielleicht ist das der Grund, warum mein Volk sie so fürchtet...
Vorsichtig hob Amaion Morwen auf und trug sie zurück ins Zimmer.
Wir waren beide froh, dass Tscha noch schlief, so hatte er nichts von allem mitbekommen.
Nun musste ich aber fort, dieser Ort war nicht mehr sicher für mich.
Morwen hasste mich – ich verstand nicht, warum.
Sie hatte keine Ansprüche auf Amaion angemeldet, und er schien in ihr weniger eine erwachsene Frau zu sehen als in mir.
Er war ihr Lehrer, nicht ihr Eigentum, und doch...
Ich wollte ihn ihr nicht wegnehmen, das wusste ich jetzt.
Aber vielleicht hatte Yalia doch Recht gehabt, und meine Zeit würde kommen.
Nicht hier, nicht jetzt, aber wenn der Richtige vor mir stand.
Mir fiel kein Ort an, zu dem ich gehen konnte.
Exils Kinder wollten mich nicht, zu Hause erwartete mich mein erwachsener Bruder, der jeden Tag darauf wartete, sein eigenes Kind in den Armen zu halten, und hier gab es zu viel Hass.
So floh ich an einen Ort, von dem ich hoffte, dass keiner wahnsinnig genug wäre, mir dorthin zu folgen...
__„Már?“
Der jung Mann trat aus einer angrenzenden Tür.
__„Was willst Du, mein Sohn?“
__„Seit wann weist Du hilfesuchende ab?“
Die alte Frau lachte.
__„Du hast sie gesehen, sie wartet nur darauf, dass der richtige Mann ihr Herz berührt. Und sie ist ihm bereits begegnet, noch ist die Veränderung langsam, doch wenn sie es weiß, dann wird es schneller werden...“
Der Mann lachte.
__„Du hast etwas getan.“
Unzählige Lachfältchen in den Augenwinkeln der Frau falteten sich zu ihrer vollen Pracht.
__„Man könnte sagen, ich habe einen Katalysator eingebracht. Wenn sie ihn berührt, wird sie es wissen...“
Der Mann legte vorsichtig seine Arme um die alte Frau.
__„Hätte mich auch gewundert, wenn Yalia, die Mutter von Exils Kindern, einem hilfesuchenden Mädchen nicht beistehen wollte.“