Tod einer Massenmörderin
Es war nicht schwierig für Morwen gewesen, den richtigen Weg zu finden.
Joreth übernahm die Rechnungen im lachenden Eber, und so war ihr eigener Geldbeutel – für ihre Verhältnisse – recht reichlich gefüllt.
Sie ließ sich einfach von einem Jungen, dessen Augen bei dem Anblick des Goldes funkelten, den Weg zur nächsten Taverne weisen.
Dort angekommen sah sie sofort, dass sie richtig war.
Sie kannte die Frau, die dort an der Bar saß, den Kopf über ein halb leeres Weinglas gebeugt.
Sie wusste, welche Zeichen auf den Ärmeln und dem Mantel der Frau eingestickt waren, und genauso war ihr klar, dass sich genau diese Symbole als Tätowierungen auf ihren Armen wiederholen würden.
Energisch trat Morwen zu der Frau und sprach sie an.
__„Es ist genug, Faeguruth, Du hast mir genügend Freunde genommen, diese wirst Du nicht bekommen.“
Die Frau drehte sich langsam um.
__„Dies. Ist. Nicht. Mein. Name.“
Sie musterte die jüngere eindringlich.
__„Ich glaube, dies ist nicht der Ort für eine Unterhaltung wie diese. Komm mit.“
Ohne abzuwarten oder nachzusehen, ob Morwen ihr folgte, verließ die Henkerin den Raum.
Auf einer kleinen Lichtung, an deren Rand der Stamm eines umgestürzten Baumes lag, blieb sie stehen.
Sie drehte sich um und sah der Jüngeren in die Augen.
Dunkle Augen.
Waren sie nicht eben noch eine Spur heller gewesen?
Sie wischte den Gedanken beiseite, für das, was sie vorhatte, brauchte sie ihre volle Konzentration.
__„So, Du bist also gekommen, um mich zu töten, kleine Hüterin. Was lässt Dich in der irrigen Annahme verweilen, dass ich das zulassen werde?“
Morwens Hände zitterten vor Müdigkeit, als sie die Klauen anlegte.
Aber sie fühlte auch die frische Kraft, die durch ihre Adern ran.
Die Ältere nickte, sie würde keine Antwort von dem Mädchen erhalten.
Während sie langsam ihr Schwert zog, beobachtete sie, wie das Mädchen das Gift auf ihren Klauen freisetzte.
Sie würde vorsichtig sein müssen.
__„Kind, bist Du so blind...“
Weiter kam die Henkerin nicht.
Schwarze Wolken hatten Morwens Augen jedes Zeichen von Leben, jede Spur einer Farbe genommen, als die Jüngere sich mit einem Aufschrei auf die Ältere stürzte.
Ein übles Geräusch erklang, als die Klauen mit einem Aufschrei von misshandeltem Metall auf Anikis Schild trafen, und die Ältere schlug die Waffen mühelos zur Seite.
Morwen beobachtete fassungslos, wie eine ihrer Klauen davonflog, aber sie fasste sich schnell.
Die verbleibende Waffe glitt an dem Schild vorbei – und traf auf ein ausgesprochen schnelles Schwert.
Zu schnell folgte sie ihrer Schwester.
Der Schatten, der Morwens Körper so sicher gesteuert hatte, floh, und ließ die junge Assassin alleine, hilflos und geschwächt zurück, das Schwert der Anderen auf ihre Kehle gerichtet.
Minutenlang standen beide so da, bis der Arm der Älteren zu zittern begann.
Einen Moment nahm sie das Schwert weg, nur um das Gift nun ihrerseits freizusetzen.
Morwens nun wieder klare Augen beobachteten entsetzt, wie sich die Klinge in ein dunkles Grün verfärbte.
__„Und, kleine Hüterin, soll ich Dir nun zu Deinem Sieg gratulieren? Ich bin es, die den morgigen Tag nicht mehr erleben wird. Oder soll ich dafür sorgen, dass Du dies mit mir teilst?“
Sie ließ das Schwert sinken und steckte es weg.
__„Glaubst Du ernsthaft, Micaya wäre noch am Leben, wenn ich ein Interesse daran gehabt hätte, den Auftrag zu erfüllen?“
Sie wandte sich ab und ließ Waffe und Schild fallen.
Dann ging sie mit schleppendem Schritt über die Lichtung und setzte sich, den Rücken gegen den Baumstamm gelehnt.
Desinteressiert besah sie sich die Hand ihres Schwertarms, an dem Blut aus einem kleinen Kratzer sickerte.
Die Finger ließen sich bereits nicht mehr richtig bewegen, und Aniki bemerkte, wie eine merkwürdige Taubheit, gleichzeitig aber auch ein brennender Schmerz langsam ihren Arm nach oben kroch.
__„Komm her, wenn Du schon die letzte derer, die es ablehnen, ihr gewissen mit Drogen gänzlich auszuschalten zu ihren Schwestern schickst, dann kannst Du mir immerhin einen Gefallen tun, mir Gesellschaft zu leisten...“
Morwen stand noch immer an Ort und Stelle, zu schwach, um irgendetwas zu unternehmen.
Dann setzte sie sich langsam in Bewegung.
__„Ich wusste nicht...“
Diesmal war es Aniki, die die Jüngere durch eine schnelle Bewegung unterbrach.
Der eiserne Griff ihrer noch vollständig beweglichen Schildhand zog Morwens Gesicht herab, nahe vor das der anderen.
Mit unsicherem Griff zog ein Finger der teilweise gelähmten Schwerthand ein Augenlied herab.
Dann ließ Aniki los.
__„Haben sie Dir gesagt, was Du da zu Dir nimmst? Oder hat es andere Gründe, dass Du mir kein Antidot anbietest?“
Sie wühlte in ihrer Tasche und warf mit einer angeekelten Bewegung Morwen einen kleinen Beutel vor die Füße.
__„Rieche daran, Du wirst feststellen, dass die Grundsubstanz von der gleichen Pflanze stammt. Es verursacht eine Wechselwirkung mit sämtlichen Gegengiften, die schmerzhafter – und tödlicher – ist, als das Gift selber...“
Morwen rang um Luft.
__„Ich ... wusste es ... nicht ...“
In der Taverne hatte sich einem gewisse Menge guter Laune breitgemacht.
Mara schmunzelte amüsiert, während sie beobachtete, wie ihre Mutter mit kleinen Sticheleien versuchte, etwas über Joreths Bekanntschaft herauszufinden.
Asanriel war mittlerweile beim dritten Bier angelangt, und der Alkohol tat sein Übriges, dass der Gestaltwandler sich jetzt vor Lachen schüttelte.
Amaions Kopf war auf die Tischkante gesunken, selbst ein halber Dämon konnte den fehlenden Schlaf einfach nicht verbergen.
Tscha war erleichtert und erfreut, dass sein Freund auch jemanden gefunden hatte, und so genoss er die Szene wie alle anderen.
Morwen würde sich auch freuen...
Moment...
__„Wo ist Morwen?“
Wo eben Gelächter geherrscht hatte, da war nun eisiges Schweigen.
Micaya sah sich um.
Joreth grübelte, wann er Morwen das letzte Mal gesehen hatte.
__„Aniki!“
Sein Stuhl flog nach hinten, aber noch bevor der Necromancer die Tür erreicht hatte, stand Micaya neben ihm.
__„Nein, Micaya, sie wird Dich töten müssen!“
Die Assassin wand sich an ihm vorbei durch die Tür.
__„Sie wird es nicht tun. Sie kommt mit uns – das ist kein Leben!“
Joreth wehrte sich nicht – dazu war keine Zeit.
Wenn es nicht sowieso schon zu spät war.
Micaya folgte ihm mit schnellen Schritten, doch als er die andere Taverne betreten wollte, schüttelte sie den Kopf.
Sie sah sich um und bemerkte eine – oder zwei – frische Spuren, die im Wald verschwanden.
Energisch zog Joreth hinter sich her.
Zwei Gestalten saßen, an einen Baumstamm gelehnt.
Mit einem Aufschrei stürzte sich Micaya auf die kleinere der Beiden.
__„Ani!“
Unsicher streckte die Frau ihr die Arme entgegen.
__„Mic? Ich glaube, um Dich noch einmal zu sehen, lohnt es sich zu sterben...“
Neben ihr sank Morwen, ohnehin schon ein verlorenes Häuflein Elend, noch tiefer in sich zusammen.
Micayas Finger wanderten zu Anikis blutgetränkten Ärmel.
Sie rieb die Finger aneinander und roch daran.
__„Joreth, ...“
Joreth kramte in seinen Taschen.
Er suchte lange, doch schließlich fand er noch ein kleines Fläschchen, das er Micaya reichte.
Die öffnete den Verschluss.
Aniki schob das Gefäß von sich.
__„Es würde mich schneller und schmerzhafter umbringen als das Gift. Rieche daran, und sag mir, an was Du Dich erinnerst.“
Micaya schnupperte.
__„Ich glaube, als Kind war ich allergisch gegen einen der Bestandteile.“
__„Es war keine Allergie. Eine Wechselwirkung. Es dauert Jahre, bis die Droge weit genug abgebaut ist, um davon frei zu sein...“
Micaya verschloss die Flasche wieder und gab sie Joreth zurück.
__„Das bedeutet...“
Aniki nickte.
__„Ich bin glücklich, dass ihr hier seid. Das ist mehr, als ich zu träumen wagte...“
Micaya stand auf.
__„Joreth, Du kannst sie tragen. Wir bringen Dich nach Hause.“
Anikis Lachen klang gequält, und nach fehlender Luft.
__„Ich habe kein Zuhause mehr.“
__„Aber ich. Folgt mir.“
Auf einen befehlenden Blick der Henkerin hin stand auch Morwen auf und folgte den anderen.
Es wurde zusehends wärmer, und sie war sich sicher, dass die Sonne irgendwie nicht stimmte.
Blätter raschelten
Moment mal, wir haben Winter! und der Duft des Waldes war reich und voll, als sie auf einer kleinen Lichtung anhielten.
Micaya bat die anderen, kurz zu warten.
Sie war nicht lange fort, aber sie hatte etwas dabei, als sie zurück kam.
Fast achtlos legte sie das Bündel neben sich und setzte sich vor Joreth, in dessen Armen Aniki hing.
Micaya streckte die Hand aus und strich der Frau, die ihr eigener Tod hätte sein können, leicht über das Gesicht.
Auf dem Gesicht der Frau zeichnete sich ein leichtes Lächeln ab, zaghaft und voll Schmerz.
__„Es wird Zeit, nichtwahr?“ fragte Micaya. „Das Gift lähmt alles – auch die Lunge...“
Die nahm einen Dolch aus ihrem Gürtel.
Aniki schob ihn mit fast übermenschlicher Anstrengung weg.
__„Nicht ... Dein...“ flüsterte sie heiser.
Sie sah, wie Joreth der anderen die Waffe aus der Hand nahm und nickte unmerklich.
__„Jetzt, bitte, ich ... “
Damit war die Luft am Ende.
Ohne Eile und mit großer Sorgfalt suchten die Finger des Necromancers die Rippen der Assassin und zählten.
Dann setzte er den Dolch an, aber Micaya musste ihm helfen, alleine brachte er nicht die Kraft auf.
Auf Anikis Lippen erschien ein leichtes Lächeln, während die Klinge, geführt von zwei Menschen, die ihr nichts als Liebe entgegenbrachten, sich zwischen ihre Rippen bohrte und das Herz traf.
Kein Schmerz mehr, nie wieder...
Morwen sah, wie die verkrampfte Gestalt der kleinen Assassin sich entspannte, und sie fragte sich, was sie hier sollte.
Sie war so – überflüssig.
Micaya war es, die ein paar merkwürdig klingende Worte sagte und dann zurücktrat, während unzählige feine Baumwurzeln die Erde vor ihren Füßen auseinanderzogen.
Joreth legte die Leiche der Henkerin in die entstandene flache Grube, und Micaya faltete ihre Hände um einen Gegenstand, den sie dem Bündel entnommen hatte.
Dann traten beide zurück und sahen aneinander geklammert zu, wie sich die Erde über der Frau, die sie beide geliebt hatten schloss.
Zuletzt nahm Micaya noch einen flachen Stein aus dem Bündel.
Das Tuch, das ihn geschützt hatte, ließ sie achtlos fallen, den Stein legte sie dort hin, wo Aniki begraben war.
Es war ein einfacher vulkanischer Stein, aber in seiner Mitte hatte er eine schillernde Ablagerung, die an jenen Stein erinnerte, den Gwyn stets bei sich trug.
Jener Stein, der die Erinnerungen des alten Geschichtenerzählers enthielt.
Joreth berührte den Stein leicht, bevor er sich abwandte und Micaya in den Arm nahm.
Beide warteten einen Moment, bis auch Morwen, die die Erwartung in den Blicken spürte, den Stein berührt hatte.
Dann gingen alle drei zurück.
Und während es mit jedem Schritt kälter und winterlicher wurde, sang das, was in dem Stein gespeichert war, jene Erinnerung, die Micaya ihrer Freundin hinterlassen wollte, in Morwens Kopf.
We used to play together long ago
We said we’d stay together when we grow
But how long for? No one of us did ever know.
How could I ever dare to let you slip away?
Long time ago you used to brighten up my day
And sometimes still I wish that happy time would stay
Your smile for me stays still though you’re not here, my friend
We said we’d stay together, but although we went
Just different courses, that I noticed in the end
Now, long time after, many years were passing by
There is no deeper sense in sit around and sigh
Like little blackbirds, we have learned to sing and fly
But sometimes when I’m feeling endless sad and low
I’d often like to see you, but I don’t know how
I never thought that by now I would miss you so