Huhu, noch jemand daaaaa?

Sei es, wie es sei, hier das nächste Kapitel
18 - Stadt des Hasses
Ich erwachte und erinnerte mich an alles. Jedes Wort, dass der Traum-Johnny, wenn er es denn überhaupt gewesen war, mit Anya gewechselt hatte, hatte sich in mein Gehirn gebrannt, unauslöschbar. Dieser Traum war anders gewesen als die anderen, plastischer, realer. Eher wie... Erinnerungen. Längst vergessene und verdrängte zwar, aber doch wirklich existierende Erinnerungen. Merkwürdig.
Ich sah mich um. Von draußen drang das Licht der Sterne in das steinerne Gebäude, dass wir uns gestern als Lager gesucht hatten. Es war mitten in der Nacht. Das Feuer war niedergebrannt, leises Schnarchen drang an meine Ohren. Auch Barbaren brauchen mal seinen Schlaf, dachte ich lächelnd. Ich glaubte nicht an einen möglichen Angriff, nicht in dieser Nacht, warum, konnte ich jedoch selber nicht so genau sagen. Vielleicht, weil wir es uns verdient hatten.
Mana seufzte im Schlaf. Die junge Zauberin schien einen angenehmen Traum zu haben. Immerhin. Einige Zeit beobachtete ich sie gedankenversunken, dachte darüber nach, wie es weitergehen sollte, obwohl das eigentlich schon fest stand.
„Morgen erreichen wir Travincal“, hallte es mir in den Ohren. Der Name schlug etwas in meinem Gedächtnis an. Natürlich waren da noch die Erfahrungen von... „damals“. Ich lachte leise auf, konnte es mir nicht verkneifen. Kale grunzte, schlief aber weiter. Der Gedanke war lächerlich. „Damals“. Wie lange war ich nun hier? Zehn Tage? Oder mehr? Ich versuchte sie zu zählen, doch kam bei jedem Versuch etwas andere raus.
Aber neben den Erinnerungen war noch etwas anderes. Ein Traum. Auch, wenn man sagt, dass viele Alpträume angeblich aus dem Gedächtnis verschwinden, sobald man ausgeträumt hat, so bleibt doch immer noch ein Fetzen hängen, an den man sich klammern kann wie ein Ertrinkender. Und dieser Fetzen übermittelte mir das Bild von Schreien und Feuer. Ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinunter und brachte mich zum zittern, obwohl die Außentemperatur recht mild war.
An Einschlafen war nicht mehr zu denken. Ich stand auf und trat auf leisen Sohlen ins Freie, wo der Barbar, auf einen Stock gestützt, im Sitzen schlief. Ich ging einige Schritte um die Feuerstelle herum und sah den Sternen entgegen. Ob man Zuhause wohl die selben Sterne sehen konnte?
Einige Kilometer entfernt, so schätzte ich, ragten der hohe Tempel von Travincal auf. In ihm schlummerte Mephisto den Schlaf der Mistkerle. Millionen Male hatte ich ihn schon niedergestreckt, allerdings war ich nicht so naiv zu glauben, dass es mir hier auch so leicht gelingen würde.
Es war schon spät am Morgen, als wir aufbrachen, um die letzten Kilometer hinter uns zu bringen. Mana bemühte sich, die Stimmung zu heben, was ihr jedoch nur sporadisch gelang. Das Mittagessen fiel karger aus als üblich, da unsere Vorräte, die wir aus dem hunderte Meilen entfernten Kurast mitgebracht hatten, fast verbraucht waren. Nicht, dass ich viel hätte essen können. Je näher wir Travincal kamen, desto unruhiger wurde ich, mein Magen krampfte sich zusammen und ich konnte nur mit Mühe überhaupt etwas in mich hinein zwingen, ohne es sofort wieder zu erbrechen. Luther schien es ähnlich zu gehen, er sagte aber nichts.
Der Weg war länger als erwartet, dann aber war es soweit. Am Nachmittag erreichten wir Travincal. Die Szenerie war in unheimliches, blutrotes Licht getaucht. Vielleicht hätte es an anderer Stelle, zu einer anderen Zeit schön gewirkt, doch hier und jetzt tat es das nicht. Steinerne, meterhohe Säulen säumten den gepflasterten Weg und ließen nur eine Richtung zu. Hierhin war die Natur noch nicht vorgedrungen. An den Wänden der Häuser waren seltsame Symbole geschmiert, einige mit einer Art bläulichem Farbstoff, andere mit Blut. Weder Kale noch Mana konnten sie entziffern. Auch hier schien alles verlassen. Unsere Suche schien umsonst gewesen.
„Psst!“, machte Kale und streckte die Hand aus um uns zu bedeuten, still zu sein. Niemand rührte sich. Dann hörte auch ich es. Ein leises Wimmern. Es konnte der Wind sein, aber daran glaubte ich nicht. Nein, wollte ich nicht glauben.
„Ist das...?“, fragte Mana mit leiser, piepsiger Stimme.
„Ja.“, hauchte Luther und rannte los, wir hinterher. Die Häuserwände zischten wie Schemen an uns vorbei, die Symbole an ihren Wänden verschwammen zu einem einzigen blauroten Farbbrei. Und als wir um eine Ecke schossen, hinter der wir den Ursprung des Geräusches vermuteten, wurden wir nicht enttäuscht.
Ein Mann kauerte an einer Säule, das Gesicht zwischen den Händen verborgen und leise schluchzend. Ein Wunder, dass wir ihn überhaupt gehört hatten. Hastig eilten wir auf ihn zu. Der Fremde hob den Kopf, als er die Schritte vernahm und schrie verschreckt auf, kroch noch näher an die Säule, die Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben.
„Keine Angst. Wir wollen ihnen nichts tun.“, sagte Mana sanft, doch ohne Erfolg. Der Mann schrie aus Leibeskräften, als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her. Seine Kleidung hing in Fetzen, er blutete aus mehreren Wunden am ganzen Körper, seine grauen Augen lagen tief in den Höhlen, waren vor Schreck geweitet.
„Beruhigen Sie sich.“, versuchte die Zauberin das Geschrei zu durchdringen, doch der Mann hörte und hörte nicht auf. Erst, als ein Hustenanfall ihn von Kopf bis Fuß schüttelte, schaffte die junge Zauberin es, zu ihm durchzudringen. Sie gab ihm eine Ohrfeige.
„Hören Sie mir zu verdammt! Wir wollen ihnen nichts tun, wir wollen ihnen helfen.“
Der Mann blickte mit tränenverschmierten Augen zu uns auf.
„Sie...“, setzte er an, doch seine trockene, brüchige Stimme brachte es kaum fertig, irgendwas aus den aufgeplatzten Lippen zu pressen.
„Ja?“, fragte Mana in beruhigendem Tonfall.
„Sie... sind zurück.“
„Wer ist zurück?“
„Die...“, er bewegte seine Lippen, allerdings drangen keine Worte mehr an uns heran. Erst dachte ich, er hätte einfach nur zu leise gesprochen. Eine Sekunde später musste ich mir eingestehen, dass ich falsch lag. Steine bröckelten aus der Säule hinter ihm und klackerten in einem Stakkato leise zu Boden. Ein Pfeil hatte die Stirn des Mannes durchdrungen und sich hinter ihm in die Säule gebohrt. Ein einsames Rinnsal tropfte von der Eintrittswunde nach unten auf den Boden und bildete eine flache Pfütze.
Luther reagierte unglaublich schnell. Noch bevor ich mich umgewandt hatte, hatte er schon einen Dolch in der Hand und warf ihn. Zuerst konnte ich sein Ziel nicht ausmachen, dann sah ich nach oben. Dort, auf dem Dach eines kleineren Tempels, etwa zehn Meter über und hinter uns, stand eine blonde Schönheit, die sich den Bauch hielt, dort, wo der Dolch sie getroffen hatte. ARA!
Luther schien ebenso entsetzt wie ich.
„Ara?“, ächzte er, und ließ den nächsten Dolch, den er bereits gezogen hatte, einfach fallen. Er fiel mit einem lauten Klirren zu Boden. Anstatt zu antworten grinste die Amazone nur, dann löste sie sich in einer rötlich schimmernden Kugel auf. Ein Lockvogel?!
„Bleibt alle ganz ruhig stehen, oder ich töte den Jungen, wie ich den alten Mann getötet habe.“, säuselte eine leise Stimme, völlig ruhig, in mein linkes Ohr. Kaltes Metall berührte meine Schläfe und weiches Haar streifte meine Hand. Das Blut rauschte mir in den Ohren, Adrenalin schoss durch meine Adern. Was geschah hier?
„Jetzt hört Ihr mir alle sehr, sehr genau zu. Ich will es kurz machen. Lasst mich einfach mit dem Jungen ziehen, und alles kommt wieder in Ordnung. Verstanden?“
„Was willst du von ihm?“, fragte Kale. Seine Stimme war völlig ruhig, zeigte keine Anzeichen von Angst oder Schwäche. Insgeheim verabscheute und bewunderte ich ihn zugleich dafür.
„Ich?“, Ara lachte hell und spitz auf und schüttelte den Kopf. „Gar nichts. Ich erfülle meinen Auftrag, das ist alles.“
„Auftrag?“, keuchte Mana. „Aber... was... warum?“
„Das verstehst du nicht, junge Dame, halt dich da raus.“, schnauzte die Amazone sie an, dann lächelte sie. „Komm, Johnny, wir gehen.“
Überrascht, dass mein Name genannt wurde, sah ich ihr in die blauen Augen. Kein Funken Hass zeigte sich darin, aber auch kein Bedauern. Sie stieß mich mit der Spitze des Pfeils an, ein Blutstropfen hing daran. Ich hatte den kleinen Stich kaum gespürt. „Los!“, sagte sie energischer. Doch bevor sie und ich auch nur einen Schritt tun konnten, erschien eine schwarze Gestalt wie aus dem Nichts in ihrem Rücken. Alles ging unglaublich schnell, doch meine Gedanken schalteten beinahe automatisch einen Gang runter, sodass ich alles bis ins kleinste Detail verfolgen konnte:
Luther kam angeschossen, eine Hand vorgestreckt. In ihr ruhte eine scharlachrote, mit drei Zacken bewährte Klaue. Ara drehte sich, machte sich dünn und wich dem Hieb elegant aus. Dann ließ sie ihren Bogen einfach fallen und griff nach oben in die Luft. Ein Schimmern dort, wo vorher nur rötlicher Himmel zu sehen war. Ein weißer Blitz, langsamer als ein echter, aber immer noch schnell genug, raste dem Boden entgegen und schlug mit einem Krachen ein. Staub wirbelte auf und verschlang die Kontrahenten wie ein hungriger, grauer Wolf. Als er sich lichtete, schien es, als hätte jemand die Vorspul-Taste auf einer unsichtbaren Fernbedienung gedrückt, als hätten die Kämpfenden einfach zwei Schritte übersprungen. Die Amazone trug nun einen hellgelben Spieß, an dessen Griff lange blaue Bänder flatterten. In der anderen Hand hielt sie einen hohen, reich verzierten, goldenen Schild. Ein roter Drache war darauf auszumachen. Sie stieß einen Kampfschrei aus, der Kale alle Ehre gemacht hätte, und stürzte sich auf den Assassinen. Der Schlag erschien ungelenk, überhastet und unüberlegt, doch das war er nicht. Während Luther sich unter der Waffe wegduckte und zum Gegenschlag ausholte, riss Ara das Schild hoch und überrumpelte ihn damit, stieß ihn zu Boden. Er war sofort wieder auf den Beinen, doch nicht schnell genug. Die Amazone hatte sofort nachgesetzt, ein gelber Blitz, der die schwärzesten Schatten durchdringt. Anstatt erneut auszuweichen, konterte der schlanke Mann, in dem er seine Klaue warf, was die Blondine wiederum dazu zwang, ihren Schild zu heben, diesmal nicht, um zu attackieren, sondern um sich zu schützen. Metall knallte auf Metall, ein roter Schweif prallte von dem vergoldeten Schutz ab und verschwand in den Ruinen. Der Assassine zog sich langsam zurück, versuchte Distanz zu gewinnen. Dann zog er aus seinem langen Umhang ein halbes Dutzend Dolche, balancierte sie in einer Hand und wartete auf den nächsten Zug seiner Gegnerin. Die lächelte amüsiert. Gerade rechnete ich damit, dass sie sich erneut auf ihn stürzen würde, wurde dann jedoch – unangenehm – überrascht, als sie sich zu mir umwandte und den Spieß nach mir warf. Völlig perplex sah ich dem Geschoss entgegen, hatte keine Chance mehr, auszuweichen. Es war ein cleverer Schachzug, nicht gerade die feine Englische, aber clever, etwas, womit Luther nie im Leben hätte rechnen können. Sollte es das gewesen sein? Nein, natürlich nicht. Urplötzlich wurde der Abend um mich herum glühend heiß, versengte mir eine Strähne. Etwas zischte, und die Wurfwaffe explodierte mitten in der Luft. Ein Splitterregen ging über den Anwesenden nieder. Ich sah mich um und erkannte Mana, die ihren Stab ausgestreckt in der Hand hielt, die Augen vor Anstrengung zusammengekniffen. Im nächsten Moment erschien Kale vor mir und zückte seine Schwerter. Ein leises
Schwing kündete seine Bereitschaft an. Als er sprach, schwang kein Zorn darin mit, nur eine sachliche Feststellung:
„Dein Kampf ist dort, blonde Kriegerin.“
Aras Gesichtszüge verzogen sich zu einem Grinsen. Mit einem Mal wirkte sie abgrundtief hässlich. Was Wut und Verbitterung aus einem Menschen machen konnten...
Sie wandte sich von uns ab, wieder Luther zu, der sich während des Zwischenfalls keinen Millimeter bewegt hatte, immer noch die Dolche gezückt, angespannt wartend. Dann ging sie gemächlich, mit wiegendem Schritt auf ihn zu. Die Amazone schloss die Augen, ganz sacht. Ein Wind schien aufzukommen, der Mantel des Assassinen wehte leicht hin und her und das helle Haar der Amazone wogte im Takt der unsichtbaren, nur fühlbaren Melodie.
„Du!“, rief Ara mit fester Stimme, streckte die leere Handfläche dem Schwarzgekleideten entgegen. Es war ein seltsames Gefühl. Ich spürte, dass Magie am Werk war, obwohl ich auf diesem Gebiet selbst keine Erfahrung besaß. Meine Haare stellten sich auf, all die Wärme, die mich eben noch gestreift hatte, verschwand mit einem Mal und hinterließ nichts als harte Kälte, die einem unter die Haut fuhr. Mana wich hinter mir zurück, verängstigt. Der Barbar rührte sich nicht, doch auch bei ihm vernahm eine gewisse Unsicherheit.
„Verschwinde!“, schrie sie dröhnend, die Stimme hallte von den Häusern wider, dann ballte sie die ausgestreckte Hand zur Faust. Eine Explosion, die die Hauswand, hinter Luther einriss. Der Assassine hatte sich mit einem schnellen Sprung hinter einer Säule in Sicherheit gebracht, hatte die Gefahr ebenso wie ich gespürt. Er warf einen Dolch, doch der erreichte sein Ziel nicht, leuchtete kurz vorher auf... und verschwand einfach! Kale schien es nun doch für angebracht zu halten, in den Kampf einzuschreiten, trat vorsichtig von hinten an die Amazone heran, die immer noch den Assassinen hinter der Säule fixierte. Was immer Ara war, eine gewöhnliche Amazone war sie jedenfalls nicht. Und das machte sich jetzt auch äußerlich bemerkbar. Die Rüstung, die sie trug, schien sich aufzulösen, zu schmelzen. Flüssiges Gold tropfte von ihrem Körper. Die Haare fielen ihr büschelweise aus, selbst das vormals hübsche Gesicht, dass ich nur im Profil sah, schien langsam aber sicher einfach zu verschwinden. Der Barbar, der schon bis auf wenige Meter heran war, erstarrte. In großen, trägen Tropfen floss alles von der Amazone ab, ein bizarrer Anblick, als würde ein impressionistischer Künstler sein neues Werk vorstellen. Die Tropfen verdampften augenblicklich auf dem Boden, hinterließen einen sanften Nebel. Dann war die Schale – denn nichts anderes schien es gewesen zu sein, was sich dort vor unseren Augen auflöste – endgültig dahin. Darunter zum Vorschein kam eine graue Kutte.
„Gebt uns den Jungen.“, intonierte die Gestalt, die einst eine wunderschöne Amazone gewesen war. Vielleicht war sie es auch nie gewesen, hatte das, was nun auf dem Boden verdampfte, nur als Maske getragen, ein Kostüm. Nein. Sie wandte sich um und sah mich an. Dort, wo das Gesicht sein wollte, war nur eine leere Kapuze. Im selben Moment vernahm ich einen Schrei, unendlich gedämpft, aber doch da. MANA! Ich riss mich von dem Anblick des Gesichtslosen ab und wirbelte herum. Die junge Zauberin war hingefallen und starrte unentwegt auf den alten Mann, der bis gerade tot und mit glasigem Blick an der Säule gelehnt hatte. Ich hatte ihn völlig vergessen. Doch jetzt erhob sich der Mann, als würde ein Puppenspieler ihn an dünnen Fäden empor ziehen. Auch er schien zu schmelzen, vollzog dieselbe, grausame Metamorphose wie die Amazone. Als sie beendet war, schwebte er langsam auf die am Boden liegende Mana zu.
Etwas in mir reagierte. Ohne zu zögern eilte ich auf die Beiden zu und stellte mich zwischen sie, die Arme weit ausgebreitet. Was zur Hölle tat ich da? Diese Typen konnten mit einem Fingerschnippen ganze Häuser einreißen, wer war ich, mich ihnen entgegen zu stellen? Doch der Gedanke kam mir gar nicht, kam erst weit später. In diesem Moment war nur eins wichtig: Mana beschützen und dann diese Ausgeburt der Hölle dorthin zurückschicken, woher sie gekommen war. Instinktiv griff ich nach dem Stab, den die Zauberin bei ihrem Sturz fallen gelassen hatte, und hielt ihn wie ein Schild vor mich. Ich hatte keinen blassen Schimmer, was ich tat, doch offensichtlich schindete ich Eindruck. Die graue Kutte erzitterte und blieb stehen, schwebte auf der Stelle, unschlüssig, aber scheinbar auch neugierig, was ich mit der neuen Waffe anzufangen wusste. Als nichts geschah, erhob sie die behandschuhte Hand:
„Komm!“
Dunkelheit umwogte die Gestalt wie ein zweiter Mantel. Natürlich ging ich nicht. Kurz überblickte ich die Situation, suchte nach einem Fluchtweg. Irgendwie entkommen. Irgendwie! Kale stand zwischen mir und der anderen Gestalt, die aus Ara heraus gewachsen war. Luther kauerte noch immer hinter einer Säule, einen Steinwurf entfernt, und doch so unendlich weit weg. Er schien verletzt, hielt sich den Arm. Hatte ihn die Explosion etwa doch erwischt?
In der anderen Richtung befanden sich eine ganze Reihe von gigantischen, steinernen Tempeln und Häusern, die sich dem Himmel entgegenreckten. Dort entlang? Nein, an eine schnelle Flucht war gar nicht zu denken! Verdammt!
Dann begann mein Gegenüber erneut zu sprechen, seine tiefe, mechanische Stimme durchbrach die eiserne Stille wie ein Rammbock:
„Du störst das System.“
„Ich tue... was?“, fragte ich entgeistert.
„Du störst das System. Komm.“
„Den Teufel werde ich tun!“
Ein Rascheln ging durch die Kutte, kaum sichtbar, aber ganz deutlich zu fühlen.
„Du störst das System. Komm.“, wiederholte sie. Sie klang gereizt. Drängend. Und da erkannte ich etwas ganz wichtiges. Unbewusst nur nahm ich es wahr, etwas streifte mein Unterbewusstsein, und erst später sollte mir klar werden, wie wertvoll diese Information wirklich war.
Diese Kreaturen waren Menschen.
Etwas machte
Klick. Ich hob den Stab.
„NICHT! Johnny, bleib stehen!“, schrie jemand. Ich stockte, die Arme zum Schlag erhoben. Luther war es, der mich aufgehalten hatte. In seiner Hand schimmerte etwas mattschwarz. Seine Pistole.
„Geh zur Seite!“, brüllte er mich an und kam langsam auf uns zu, beide Arme ausgestreckt und die Waffe krampfhaft umklammernd. Die Kutten reagierte sofort. Hatten sie sich vorher noch kaum bewegt, legten sie nun eine wahnwitzige Geschwindigkeit an den Tag. Derjenige, der ihm am nächsten stand und vorher von Kale bewacht wurde, stieß auf ihn herab, die Hände zu Fäusten geballt. Der Assassine drückte ab. Einmal, zweimal, dreimal. Peitschend heulten die Schüsse durch die Luft und trafen allesamt ihr Ziel, die ersten beiden in den Oberkörper, der dritte mitten unter die Kapuze. Die Kreatur heulte auf. Aber nicht wie eine Kreatur, nicht fremd und wild, sondern viel vertrauter. Menschlich. Sie schwebte zu Boden, zum ersten Mal berührte die Kutte den Boden. Die andere war abrupt stehen geblieben, die todbringenden Hände erhoben, aber zögernd. Es hätte kaum deutlicher sein können, dass sie damit in keinster Weise gerechnet hatten.
Die getroffene Gestalt wand sich, litt offensichtlich Höllenqualen. Dann rührte sie sich nicht mehr. Auch, wenn ich immer noch nicht mit absoluter Gewissheit sagen konnte, was sie waren, so wusste ich doch, dass das Wesen, was Ara bewohnt hatte (oder was Ara gewesen war...), tot war. Für immer. Niedergestreckt von einer Vision, einem Ding, dass diese Welt nie zu Gesicht hätte kriegen dürfen.
Luther richtete seine Waffe nun auf den verbleibenden Feind. Der fackelte nicht lange, zerstob langsam in seine Bestandteile, verschwand in den karmesinroten Himmel.
Unter ihm verwandelte sich die Gestalt, die Luther niedergeschossen hatte. Es schien, als würde erneut eine Maske schmelzen. Stahlgraue Tropfen glitten auf den Boden und gaben blondes, glänzendes Haar und eine wilde, sagenhafte Schönheit frei. Der Assassine schritt auf Ara zu, fühlte den Puls, schüttelte den Kopf. Das Einschussloch war deutlich zu erkennen, genau zwischen den nun geschlossenen, ehemals wunderschönen blauen Augen.
Es war vorbei.
Tja, und das wars dann auch erstmal von mir

Bis nächste Woche
Löffel